Warum Retro-Digitalkameras deinen Feed erobern

Wenn du in deinen 30ern oder 40ern bist, kommt es dir vielleicht vor, als wärst du in die Vergangenheit gereist. Zumindest, wenn du in den sozialen Medien unterwegs bist.

Es liegt nicht an deinen Geräteeinstellungen – die Optik von Social-Media-Feeds hat sich in den letzten Jahren tatsächlich verändert. Zu der gewohnten Mischung aus hochauflösenden Handyfotos und gestochen scharfen Spiegelreflexaufnahmen gesellt sich nicht so ganz klammheimlich eine dritte Variante dazu: die Digicam.

Deren Renaissance, die in den entlegenen Ecken des Internets begann, hat dieses Jahr enorm an Schwung gewonnen und ist mit voller Wucht im Mainstream angekommen. Plötzlich besorgen sich jüngere Generationen Digitalkameras von früher und halten damit ihr Leben in herrlichen 20 Megapixeln fest.

Es begann auf TikTok, breitete sich über Instagram aus und nun jagt eine Digicam-Fotostrecke die nächste, besonders in den Feeds von Gen Z und Millennials. Von Bella Hadid bis Dua Lipa nutzen alle diese Geräte, um ihren Profilen mit der blitzlastigen Ästhetik der niedrig auflösenden Vintage-Kameras einen lässigen It-Girl-Charme zu verleihen.

Diese Generationen sind mit Smartphones aufgewachsen und empfinden sie als Erweiterung ihres Selbst. Seit Erfindung des iPhones 2007 sind sämtliche Apps und Funktionen schließlich nur einen Wisch entfernt. Kein Wunder also, dass diese Annehmlichkeiten in der heutigen Zeit als selbstverständlich gelten. Doch nun verabschieden sich viele von der Vorstellung, dass ein Gerät alles beherrschen sollte. Stattdessen werden speziellere und originellere Formen des kreativen Selbstausdrucks bevorzugt.

Neuartige Gadgets und Spielereien haben immer einen besonderen Reiz. Und was wäre ein besseres Accessoire für einen Partyabend mit Freunden als eine Sony CyberShot-Kompaktkamera in der Gesäßtasche deiner tief sitzenden Schlagjeans? Am besten verzierst du sie noch mit Stickern und Bändern für den ultimativen Kitsch-Vibe und postest das Tutorial auf TikTok.

Was ist es an der Ästhetik so verlockend?

In einer Zeit, in der Handykameras jede Pore in 4K abbilden, hat die schmeichelhafte Wirkung einer leichten Überbelichtung, die etwas mehr der Fantasie überlässt, durchaus ihre Vorzüge. Wenn in der Timeline alles makellos und auf Hochglanz poliert wirkt, sorgt die Digicam für eine natürliche Patina, die selbst simpelsten Aufnahmen einen Hauch Romantik und Authentizität verleiht.

Eigentlich ist es nur logisch, dass diejenigen, die mit Plattformen wie Instagram und VSCO aufgewachsen sind – die gerade wegen der Filter, die die Optik dieser Geräte imitieren, populär wurden – letztlich zum Original zurückkehren. Selbst das mühsame Übertragen der Bilder vom Gerät, um sie im Feed zu posten, erinnert an die Zeit, als nach jeder Party alle ein ganzes Facebook-Album hochgeladen haben und jeder neue Upload mit Spannung erwartet wurde, um den Abend noch einmal Revue passieren zu lassen.

Der Trend zur Vintage-Ästhetik ist aber schon seit Jahren Gesprächsthema: von Y2K-Mode über das Comeback von Vinyl und Polaroids bis zum jüngsten Revival des Klapphandys. Du fragst dich vielleicht, warum ausgerechnet Digitalkameras so angesagt sind, wo doch analoge Kameras bereits den gewünschten Effekt liefern. 

Nun, mit Digitalkameras ist es einfacher denn je, der Nostalgie virtuell Ausdruck zu verleihen. Sie sind weit weniger technisch als analoge Modelle und viel erschwinglicher und kompakter als eine durchschnittliche Spiegelreflexkamera. Dank Automatisierung musst du dich nicht mit Blenden, Verschlusszeiten oder ISOs auseinandersetzen. Auch steigende Entwicklungskosten sind kein Problem und du musst nicht deine Ersparnisse für einen Kodak Gold Film plündern oder dich auf 36 Aufnahmen beschränken, wenn du das perfekte Selfie machen willst. Für junge Nutzer:innen mit begrenzten Mitteln und hoher Digitalkompetenz sind sie eine großartige Möglichkeit, mit kleinem Budget und ohne großen Aufwand einen filmähnlichen Look zu erzielen.

Gerade die verschiedenen Generationen der Canon Powershot und Nikon Coolpix sind zu Favoriten für schnelle Schnappschüsse geworden. Wem das zu basic ist, dem bieten viele der frühen Digitalkameras sogar witzige Modi und Funktionen zum Experimentieren, wie Fischauge, Infrarot, beeindruckende optische Zooms und einen starken Blitz für den High-Fashion-Look. Und ganz nebenbei ist es auch noch gut für die Umwelt, alten Digitalkameras ein zweites Leben zu geben.

Was kommt als Nächstes? Welche Relikte werden noch hervorgekramt? Nun, wenn unsere Bilder immer weiter rückwärts altern, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Videos folgen. Mit Super-8- und ähnlichen Kameras aufgenommenes VHS- und Filmmaterial ist für Film- und Kunstschaffende nach wie vor ein beliebtes Stilmittel, um die Vergangenheit oder Traumsequenzen visuell darzustellen. Als Nächstes werden aber zweifellos digitale Camcorder bei allen, die nostalgische Reels, TikToks oder auch längere Inhalte erstellen möchten, ganz oben auf der Liste stehen. Schon bald werden wir Antworten auf die Frage haben: „Wie würden altmodische Heimvideos aussehen, wenn sie 2025 gedreht würden?“